Kultur = Kunst? Die Sprache und ihre Tücken

Bloghaus WG Besprechung im Februar 2021

Divadonna rief durch ´s Haus. Sie schien sehr aufgebracht zu sein. „Hört ihr mich Mädels?“ Erst einmal bekam sie keine Antwort. „Habt ihr mich gehört? Kommt mal bitte in die Küche!“ So nach und nach trudelten wir ein. Ein wenig neugierig waren wir schon, denn wir kennen ja unsere große Schwester. Sie meldet sich selten, aber wenn sie es tut und dann noch so, wie sie es gerade getan hatte, musste etwas Wichtiges und Veränderungswürdiges ihren Lebensrhythmus gestört haben.

Die Einladung

Wir waren alle in der Küche versammelt. Sanni setze sich gerade auf ihren Lieblingsplatz, unsere philosophische Poetin nahm ihr gegenüber Platz, während ich mich mit dem Rücken zum Küchenschrank stellte und damit Divadonna, die am Herd stehengeblieben war, genau gegenüber stand. „Was ist los?“ Noch während ich fragte, bemerkte ich ihren empörten Blick. „Das will ich euch sagen! Es wird höchste Zeit, dass wir aktiv werden. Die Kunst ist in Gefahr. Es treibt mich um, dass so wenige Menschen über das nachdenken, was sie von sich geben. Ich bin erschüttert, wenn ich mitkriege, in welch naiver Weise unsere Künstlerkolleginnen und Kollegen das Wort Kultur benutzen. Immer wenn von Kunst die Rede ist, wird der große Begriff Kultur zur Beschreibung genutzt. Plötzlich sind nur noch die Künstler und Künstlerinnen Kulturschaffende. Das war wahrscheinlich schon länger so, aber seit Corona bei uns lebt, hat sich diese ganze Begriffsungenauigkeit dermaßen verselbstständigt, dass ich anfange, graue Haare zu bekommen. Seit Monaten schon denke ich über dieses Thema nach und ich finde, wir sollten uns heute Abend zu einer WG Besprechung zusammen finden, um einmal gemeinsam ausführlich über dieses Thema zu reden. Seid ihr einverstanden?“

Die Absprache

Wir schauten uns alle an und nickten. „Also dann,“ sagte ich, „Treffen um 20.00 Uhr hier in der Küche? Ich kümmere ich ums Essen.“ „In Ordnung,“ sagte Divadonna und legte jeder von uns die Kopie eines Zeitungsartikels vom 2.2. 2021 vor, den sie am Morgen gelesen hatte und der den Ausschlag für unser heutiges außerplanmäßiges WG Gespräch gegeben hatte. „DAS IST NICHT GERECHT“ war da als Überschrift in der Rubrik KULTUR & LEBEN der aktuellen Ausgabe der Lübecker Nachrichten“ zu lesen. Die Autor*innen Petra Haase und Peter Intelmann hatten den Artikel geschrieben. “ Dieser Artikel war für mich das Tüpfchen auf meinem >Kunst = Kultur i<. Lest euch das bitte durch. Dann haben wir eine gemeinsame Grundlage für unser Gespräch. Ich bin gespannt, was ihr heute Abend dazu sagt.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich unsere große Schwester von uns, um sich wieder ihren Studien zu widmen. Wir anderen nahmen uns noch einen Tee und gingen auch wieder an unsere Arbeit. „Bis später!“, rief ich meinen beiden Schwestern nach und ging die Treppe zu meinem Arbeitszimmer hinauf.

20.00 Uhr, Küche im Bloghaus der Musen
Was wir Vier zum Denken brauchen…

Der Tisch war gedeckt. Jede von uns kam pünktlich und wir setzten uns auf unsere Stammplätze. Heute sollte ich diejenige sein, die alle Gesprächsergebnisse zusammenfassen durfte. Das war eine Ehre und ich machte das gerne. Divadonna eröffnete unser Gespräch: „Habt ihr alle den Artikel gelesen?“, fragte sie in die Runde ihrer kleinen Schwestern hinein. Wir nickten alle und hatten den gleichen empörten Gesichtsausdruck, wie ihn unsere Schwester am Morgen hatte. „Ja, haben wir.“ Unsere Poetin hatte vor Eifer auf das bevorstehende und sicherlich auch etwas philosophische Gespräch schon ganz glühende Wangen. „Ich habe mir in unserem alten Lexikon mal angeschaut, was dort über Kultur geschrieben steht. Das war ich ja gar nicht mehr gewohnt, sonst guckt man ja nur noch bei Wikipedia. Aber das hat jetzt mal richtig Spaß gemacht. So eine elegante Sprache. Ich zitiere mal aus dem Brockhaus:

„Kultur, die Gesamtheit der typischen Lebensformen einer Bevölkerung einschließlich der sie tragenden Geistesverfassung, besonders der Werteinstellungen (W.E. Mühlmann)“

Zitat Brockhaus, 17. Auflage

„Kunst 1) im weitesten Sinn jede auf Wissen und Übung gegründete Tätigkeit oder ein vom Menschen, im Gegensatz zur Natur, geschaffenes Produkt.“

Zitat Brockhaus, 17. Auflage

„Kunst 2) im engeren Sinn schöpferisch- gestaltende Tätigkeit, die sich durch Bearbeitung innerer und äußerer Erfahrungsinhalte mit der Welt auseinandersetzt und auf Wertsetzung im Kunstwerk und Werterlebnis des Betrachters abzielt; auch Inbegriff aller einzelnen Kunstwerke.“

Zitat Brockhaus, 17. Auflage

„Kunst 3) im engsten Sinn die bildende Kunst.“

Zitat Brockhaus, 17. Auflage

„Und das müssen wir auch noch wissen, wenn wir vernünftig diskutieren wollen,“ sagte Susanne, unsere Philosophin. „Steht auch in dieser Brockhausausgabe. Ich zitiere:

„Der Singular >Kunst< für die Gesamtheit der Einzelkünste tritt erst ab Ende des 18. Jahrhunderts auf.

Zitat Brockhaus, 17. Auflage

„Die Kunst im eigentlichen Sinn umfasst Dichtung, Musik, bildende Kunst, Baukunst, Bildhauerkunst, Malerei, Graphik, Kunstgewerbe, darstellende und ausübende Künste, Vortragskunst (auch musikalischer Art), Tanzkunst, Theaterkunst (Schauspielkunst), Pantomime, Filmkunst (Film). „

Zitat Brockhaus, 17. Auflage

„So, meine Lieben, jetzt kann´s losgehen. Nehmt euch ein Glas Wein, lasst uns anstoßen und dann lasst uns reden.“ Damit eröffnete Divadonna die Diskussionsrunde.

2 Kommentare zu „KULTUR = KUNST? Die Sprache und ihre Tücken“

  1. Karola Pabst 9.2.2021
    Ja, das Wort „Kulturbetrieb“ mutiert immer mehr zum Unwort! Dazu folgende Zitate:
    Das Verhängnis unserer Kultur ist, dass sie sich materiell viel stärker entwickelt hat als geistig. Ihr Gleichgewicht ist gestört.
    (Albert Schweitzer)
    Die Höhen der Kultur sind manchmal in Höhlen zu finden.
    (Ulvi Gündüz, Dichter und Autor)
    Kultur ist, was manche sich gar nicht vorstellen können.
    (Harald Schmid)
    Die Seife ist ein Maßstab für den Wohlstand und die Kultur der Staaten.
    (Justus von Liebig, Chemiker)
    Kultur ist – Entertainment – , (früher – Unterhaltung -) , klingt neudeutsch und pseudogebildet …. Hauptsache – spannend – das ist der neue Gradmesser für vermeintlichen Kulturkonsum.
    MUSIK in guter Komposition und Darbietung ist anspruchsvoll; man setzt lieber auf BESCHALLUNG wie im Supermarkt …………
    Wahre Kunst gehört nicht in solchen Einheitsbrei!

  2. Leider konnte ich den Artikel „Das ist nicht gerecht“ Petra Haase/Peter Intelmann nicht lesen, bin kein LN-Abonnent und auch die Recherche im Internet führte mich nicht dahin…
    So kann ich mich auch nicht darauf beziehen, nur meine eigenen Gedanken zu Kunst und Kultur ein wenig überdenken und dies in der Coronapandemie… Künstlich ist nicht natürlich, ist eine Spielart mit der Natur. In der Natur ist alles schon vorhanden, die Schönheit, die Farben, die Formen, die Geräusche, Lärm und Stille, die Bewegung, das Wachsen, Werden und Vergehen, auch Entwicklung und Zerstörung, Krieg und Frieden… Natur braucht keine Kunst, keine Kultur, noch nicht einmal den Menschen, dieses eigenartige Naturprodukt. Natur hat eigene Gesetze, will nichts als leben und für die Fortsetzung des Lebens sorgen. Könnte es sei, dass wir als „Krönung der Schöpfung“ da stören mit unserem maßlosen Verhalten die Natur auszubeuten und zu beherrschen? Da kam ein kleines Virus daher… Eine Zäsur? Kultur sollte beinhalten, dass wir sorgsam mit dem Reichtum der Natur umgehen, dazu gehören Gesetze und Ordnung, Erziehung und Bildung.
    Kunst entsteht aus der menschlichen Gabe kreativ sein zu können, die menschlichen Sinne zu feiern und durch den Ausdruck mit anderen zu teilen. Die Ideen dazu liefert uns das Leben, die Natur, die Liebe und das jeweilige Talent, das jeder in sich finden kann. Brotlos kann das schon sein… aber auch ein Brot kann ein Kunstwerk sein!
    Ein Lockdown, ein Anhalten, ein Insichgehen, wir können es nutzen, die Welt besser, gerechter und liebevoller zu gestalten, dazu gehört Dankbarkeit und Verantwortlichkeit.
    Wir haben die Welt so „gebaut“, in die unsere Kinder und Kindeskinder geboren werden, viel Gutes in „Kunst und Kultur“ aber auch viel Entbehrliches, darüber müssen wir nachdenken.
    Nun stelle ich mein Glas Wein zu euch und sage „Prost“ ihr lieben Schwestern… was für ein Kunstwerk des Winzers aus blauen oder weißen Trauben!

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