Die Diskussion
„Ganze 10 mal habe ich in dem LN Artikel von heute das Wort >Kultur< gelesen und das an den Stellen, an denen ich das Wort >Kunst< hätte erwarten dürfen.“ Divadonna war ganz außer sich. „Ich weiß ja, was die Kollegen und Kolleginnen meinen, wenn sie so reden. Das reicht aber nicht, um den Schaden abzuwenden, der entsteht, weil ausgerechnet die Künstler und Künstlerinnen selbst die Worte >Kunst< und >Kultur< unreflektiert benutzen.“ „Du hast ja so recht,“ warf Sanni ein. „Ich möchte vor unserer Diskussion betonen, dass es die Künstler und Künstlerinnen selbst sind, die in ihren Äußerungen ungenau sind. Die Journalist*innen berichten lediglich darüber.“ Sanni war es immer wichtig, die Verantwortungen geklärt zu wissen. „Wenn jedoch immer nur noch der Begriff >Kultur< gebraucht wird, um die >Kunst< zu benennen, dann sind wir Künstlerinnen und Künstler am Ende an allem Schuld, was kulturell nicht mehr funktioniert.“
“ Ja,“ warf ich ein, “ und ganz zum Schluss gibt es dann auch keine Kunst mehr, weil sie im großen Sumpf der Missachtung von Begrifflichkeiten kulturell genau so niedergmäht wird, wie alle anderen Bereiche des kulturellen Lebens. Dort ist das Schlimmste ja wohl schon eingetreten, denn außer bei uns Künstlerinnen und Künstlern scheint >Kultur< ja keine Rolle mehr zu spielen. Wann habt ihr zum letzten Mal den Ausdruck >Kultur> in den Nachrichten im Zusammenhang mit politischem Geschehen gehört?“
Die Macht der Worte
„Hier, diese Postkarte hab ich gerade von meiner Pinwand genommen. Ich glaube, der Text gibt gut wieder, worum es uns hier heute geht.“ Die Philosophin zückte die Postkarte und begann vorzulesen:
Aus dem Talmud:
- Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
- Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
- Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
- Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden Charakter.
- Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
„Wenn wir nur noch von Kultur reden und dabei die Kunst meinen, dann fangen wir Künstler und Künstlerinnen an, uns selbst das Wasser abzugraben. Kultur ist alles, was wir haben und wie wir mit den Dingen umgehen, ist Ausdruck des kulturellen Wertesystems unserer Zivilisation.“ Divadonna hatte sich alles, was sie sagen wollte, gut zurechtgelegt. „Du hattest das ja so wunderbar zitiert, Susanne. Kultur ist ALLES! Kunst ist nur eine der vielen Facetten unserer Kultur. Noch jedenfalls, denn wenn wir so weitermachen und die Präzision im Umgang mit Formulierungen schleifen lassen, dann wird der Begriff >Kunst< bald ganz verschwinden. Und wenn erst einmal das Wort weg ist, dann werden auch die Künstler und Künstlerinnen nicht mehr gebraucht, die das Wort Kunst mit Leben füllen.“ Divadonna trank einen Schluck Wein und nahm sich ein paar Möhrchen zum Knabbern. Sie musste nachdenken.
Die Visionen
„Habt ihr schonmal über den Begriff „Kulturbetrieb“ nachgedacht? Das Wort an sich ist ja schon kunstfeindlich und wir können gut ablesen, in welche Richtung sich Kunst entwickeln wird, wenn wir unsere Wortwahl nicht sehr umsichtig treffen. Das Einzige, was wir Künstlerinnen mit herkömmlichen Wirtschaftsbetrieben gemeinsam haben ist die Tatsache, dass wir eine Steuererklärung machen müssen. Wir sorgen durch unser Tun mit bester Unterhaltung für unsere Mitmenschen und verdienen kaum etwas. Und wir sind selbst schuld an unserer Situation, weil unsere Gedanken zu Worten, Worte zu Taten und schließlich zu unserem Schicksal werden. Wir denken alle, dass Kunst Brotlos ist. Das haben unsere Eltern uns beigebracht und so denkt unsere gesamte Gesellschaft. Von daher ist es für das Universum nur logisch, wenn es uns mit geringem Einkommen und mit mangelnder Wertschätzung belohnt. Umdenken ist angesagt in allen Bereichen. Gut, zugegeben, im Moment ist schon vieles dicht, aber so manches, was für wichtig, bzw. Systemrelevant in Coronazeiten gehalten wird, ist ja auch noch geöffnet: Wenn die Politik fordert, alle Kulturbetriebe zu schließen, dann könnten wir ja mal den Gedanken in die Welt senden, das doch bitte konsequent zu machen.“ Ich mischte mich mal wieder ein wenig anarchistisch und alles völlig überzeichnend in die Diskussion ein.
- Alle Betriebe
- Alle Krankenhäuser
- Alle Banken
- Alle Geschäfte
- Alle Lokale und Imbissverkaufsstätten
- Alle Bildungseinrichtungen und Schulen und Kitas
- Alle Arztpraxen
- Alle Forschungseinrichtungen
- Alle begleitenden Therapieeinrichtungen
- Alle kosmetischen Bereiche
- Alle Handwerksbetriebe
- Alle Bestatter
- Alle Kirchen
- Alle Gärtner
- Alle Polizeireviere
- Alle Konzertsäle
- Alle Museen, Galerien
- Alle Gerichte
- Alle Ämter
- Alle Kinos
- Alle Sportstätten
- Alle Autohäuser
- Alle Wasserwerke
- Alle Stromumspannwerke
- Alle Parlamente
- Alle Ausschüsse und Gremien
- EINFACH ALLES MACHT ZU! Das wäre ein konsequentes Schließen von Kulturbetrieben.
„Ich möchte nicht in der Haut von Politikern und Politikerinnen stecken, die hier gefragt sind, wenn es um Prioritätenlisten geht. Ich wünsche mir jedoch auch von dieser Seite einen adäquaten Umgang in der Wortwahl aus der Vielfalt unseres Vokabulariums.“
Mein Statement war kaum zu Ende, als sich Susanne einmischte: „Ich sehe das genauso. Kunst ist Kunst und Kultur ist Kultur! Und wenn das so bleiben soll mit der kulturellen Vielfältigkeit in unserer Welt, dann ist jetzt der Moment gekommen, an welchem der Handlungsbedarf sichtbar wird. Also, was tun wir?“ Die Frage stand im Raum und so recht wusste keine von uns, was wir nun tun sollten. „Vielleicht ist es hilfreich, wenn wir mal eine Zusammenfassung unserer Diskussion bekommen?“ Divadonnas Blick fiel auf mich. „Gerne, meine Lieben. Also aufgespasst:
Das Fazit
In der, durch Coronas Besuch verursachten Pandemiezeit, müssen, zur Eindämmung dieser Pandemie Prioritäten gesetzt werden. Das zu tun, haben wir demokratisch Menschen gewählt, die wir für fähig halten, solche Entscheidungen zum Wohle Aller zu treffen. Dass nun jedoch die Einrichtungen der künstlerischen Fakultät geschlossen werden mussten, ist bedauerlich und dass sie bei Wiederöffnung zu den Bereichen gehören, die als letzte wieder zu ihren ursprünglichen Tätigkeiten zurückkehren können, ist für uns Betroffenen traurig.
Wenn jedoch die Worte in ihren Bedeutungen für unsere Gesellschaft verdreht werden, dann nenne ich das eine Katastrophe, der wir als Künstler und Künstlerinnen unbedingt alles uns Mögliche entgegensetzen müssen.
Unsere Zivilisation lebt von und durch alle unsere kulturellen Errungenschaften. Es ist ein zivilisatorischer Ausdruck unserer Kultur, wie wir mit den einzelnen kulturellen Facetten umgehen und welche Wertigkeiten wir ihnen beimessen. Wir alle vier sind politisch denkende Menschen, deshalb sind wir aber noch lange keine Politikerinnen. Alle Kunst ist kulturell geprägt, deshalb ist jedoch noch lange nicht alles kulturell Geprägte auch Kunst. Zur Zeit unserer Ahnen waren auch einmal Politik, Architektur, Rethorik, Medizin und vieles mehr im Status der Kunst angesiedelt. Sie haben sich von den großen Sümpfen der Kultur verschlingen lassen und heute haben sie mit Kunst nichts mehr zu tun. Deshalb müssen wir aufpassen, dass nicht auch die bis heute übrig gebliebenen Bereiche der Kunst auf diesem Wege vergehen. Das gelingt allerdings nur, wenn wir die Begrifflichkeiten so einsetzen, wie sie ihrer Bedeutung entsprechend formuliert werden müssen.
Wenn nur noch wir Künstlerinnen und Künstler die Kulturschaffenden unserer Zivilisation sein sollen und wenn wir es nicht schaffen, mit unserem künstlerischen Tun zu überleben in diesen besonderen Zeiten, dann wird die Kunst vollständig in der Kultur untergehen. Sie wird sterben und muss früher oder später völlig neu erfunden werden.“
„Lasst uns anstoßen, meine lieben Schwestern, ihr Musen im Dienste der Kunst.“ Divadonna hatte wieder den Blick der großen Schwester aufgelegt. Ich sage euch, was wir tun müssen. Lasst uns das folgende Credo ins Land schicken, auf dass alle Künstlerinnen und Künstler mit den gleichen Worten ihr Tun selbstbewusst und sicher in der Welt vertreten können.“
Das Credo für die Kunst
Wir sind Kunstschaffende.
Wir nennen uns Künstlerinnen und Künstler.
Wir bereichern das kulturelle Leben unserer zivilisierten Welt.
Dass wir das dürfen, erfüllt uns mit Stolz und Freude.
Das soll das Credo all unserer Kollegen und Kolleginnen werden.
EINFACH GÖTTLICH! „
Karola Pabst 9.2.2021
Ja, das Wort „Kulturbetrieb“ mutiert immer mehr zum Unwort! Dazu folgende Zitate:
Das Verhängnis unserer Kultur ist, dass sie sich materiell viel stärker entwickelt hat als geistig. Ihr Gleichgewicht ist gestört.
(Albert Schweitzer)
Die Höhen der Kultur sind manchmal in Höhlen zu finden.
(Ulvi Gündüz, Dichter und Autor)
Kultur ist, was manche sich gar nicht vorstellen können.
(Harald Schmid)
Die Seife ist ein Maßstab für den Wohlstand und die Kultur der Staaten.
(Justus von Liebig, Chemiker)
Kultur ist – Entertainment – , (früher – Unterhaltung -) , klingt neudeutsch und pseudogebildet …. Hauptsache – spannend – das ist der neue Gradmesser für vermeintlichen Kulturkonsum.
MUSIK in guter Komposition und Darbietung ist anspruchsvoll; man setzt lieber auf BESCHALLUNG wie im Supermarkt …………
Wahre Kunst gehört nicht in solchen Einheitsbrei!
Leider konnte ich den Artikel „Das ist nicht gerecht“ Petra Haase/Peter Intelmann nicht lesen, bin kein LN-Abonnent und auch die Recherche im Internet führte mich nicht dahin…
So kann ich mich auch nicht darauf beziehen, nur meine eigenen Gedanken zu Kunst und Kultur ein wenig überdenken und dies in der Coronapandemie… Künstlich ist nicht natürlich, ist eine Spielart mit der Natur. In der Natur ist alles schon vorhanden, die Schönheit, die Farben, die Formen, die Geräusche, Lärm und Stille, die Bewegung, das Wachsen, Werden und Vergehen, auch Entwicklung und Zerstörung, Krieg und Frieden… Natur braucht keine Kunst, keine Kultur, noch nicht einmal den Menschen, dieses eigenartige Naturprodukt. Natur hat eigene Gesetze, will nichts als leben und für die Fortsetzung des Lebens sorgen. Könnte es sei, dass wir als „Krönung der Schöpfung“ da stören mit unserem maßlosen Verhalten die Natur auszubeuten und zu beherrschen? Da kam ein kleines Virus daher… Eine Zäsur? Kultur sollte beinhalten, dass wir sorgsam mit dem Reichtum der Natur umgehen, dazu gehören Gesetze und Ordnung, Erziehung und Bildung.
Kunst entsteht aus der menschlichen Gabe kreativ sein zu können, die menschlichen Sinne zu feiern und durch den Ausdruck mit anderen zu teilen. Die Ideen dazu liefert uns das Leben, die Natur, die Liebe und das jeweilige Talent, das jeder in sich finden kann. Brotlos kann das schon sein… aber auch ein Brot kann ein Kunstwerk sein!
Ein Lockdown, ein Anhalten, ein Insichgehen, wir können es nutzen, die Welt besser, gerechter und liebevoller zu gestalten, dazu gehört Dankbarkeit und Verantwortlichkeit.
Wir haben die Welt so „gebaut“, in die unsere Kinder und Kindeskinder geboren werden, viel Gutes in „Kunst und Kultur“ aber auch viel Entbehrliches, darüber müssen wir nachdenken.
Nun stelle ich mein Glas Wein zu euch und sage „Prost“ ihr lieben Schwestern… was für ein Kunstwerk des Winzers aus blauen oder weißen Trauben!