„Weih mir eine Träne…“

Am Mittwoch, den 7.7.2021 komme ich von einer wirklich schönen und erfüllenden Probe zurück. Ein Konzert ist in Vorbereitung. Der Titel verspricht Sternschnuppen: „Es fällt ein Stern herunter…“ und ich freue mich sehr darauf. Auf der Rückfahrt habe ich das Radio angeschaltet und die Nachrichten waren unerfreulich, denn es wurde berichtet, dass erneut Menschen aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben wurden. Die Stimme des Morderators klang, bei aller notwendigen Nüchternheit, dennoch betroffen. Und meine Stimmung kippte von der erhabenen Freude in tief empfundenes Mitleid. In meine Tränen mischte sich die Erinnerung an das Lied „Abendempfindung“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Dort finden wir die Worte: „Weih mir eine Träne und ach, schäme Dich nur nicht, sie mir zu weihn. O, sie wird in meinem Diademe dann die schönste Träne sein.“

Ergriffenheit und Tränen

Ja, ich habe geweint. Ich war fassungslos und ich bin es noch. Meine Regierung schiebt Menschen in offensichtlich unsichere Länder ab. Es ist nicht so, dass ich davon noch nie gehört hätte. Aber heute hat es mich ganz tief in meinem Inneren ergriffen. Die Hauptsache scheint zu sein, dass diese Menschen aus unserem Land weg sind. Wie es ihnen ergehen wird, was sie erleiden müssen, ob sie ein auskömmliches Leben führen können, ohne dabei Angst um ihr Leben haben zu müssen, scheint keine Rolle zu spielen. Ein junger heranwachsender Mann, der seit seinem 14. Lebensjahr bei uns gelebt hat, die Schule besucht hat und dem nur noch ein Ausbildungsjahr zur fertigen Berufszertifizierung fehlt: Er muss, nun 21 jährig, zurück in ein Land, in dem er nicht mehr zu Hause ist und in dem ihm keine Sicherheit geboten wird.

Moral ist kein Spielzeug sondern eine Haltung!

Da werden auf polistischer Ebene nicht wieder gut zu machende und moralisch bedenklich Entscheidungen getroffen, die ich persönlich für unangemessen halte, um eine scheinbare Ordnung im eigenen Land herzustellen und gleichzeitig werden, mit hohen moralischen Ansprüchen, ähnliche politische Entscheidungen in anderen Ländern, die ich allerdings auch bedenklich finde, kritisiert. Zuerst im eigenen Haus zu fegen, wäre das nicht sinnvoller?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es ist wichtig, hohe moralische Ansprüche zu haben und es ist wichtig, diesen Ansprüchen zu folgen. Es ist ebenfalls wichtig, beschlossene Gesetze zu befolgen, denn ich gehe davon aus, dass sie jeweils aus einem guten und der allgemeinen Ordnung dienenden Grund verkündet wurden, ganz gleich ob auf regionaler, europäischer oder internationaler Ebene.

Ich störe mich an dem, was ich als falsch, als überheblich und als doppelmoralisch empfinde. Das „C“ für „christlich“ im Parteinamen ist ein Beispiel für ein solche Doppelmoral. Wenn es nicht doppelmoralisch wäre, dann gäbe es keine Abschiebungen in unsichere Länder, denn christliche Werte würden dies aus sich selbst heraus verbieten.

Moral ist kein Spielzeug sondern eine Haltung! (Diese verlinkte Erklärung versteht jedes Kind…)

Das Recht auf Sicherheit

Wenn ich für mich das Recht in Anspruch nehme, in Sicherheit leben zu dürfen, dann muss dieses Recht auch für alle Menschen weltweit gelten. Es gibt in Deutschland keine Todesstrafe und das Töten an sich ist ebenfalls verboten und das sicher aus gutem Grund. Also darf ich auch niemanden in ein Land abschieben, in dem dessen Leben und die Sicherheit durch andere Gesetzeslagen oder durch die allgemeinen Umstände in dem jeweiligen Land bedroht sind. Niemand von all denen, die hier heute auf politischer Ebene Entscheidungen treffen, kann sagen „Ich habe das nicht gewusst.“ Heute wissen wir in der Regel alle Alles.

Das Gute im Menschen

Ich vergieße Tränen der Trauer. Ich weihe allen Betroffenen eine Träne, auch denen, die diese Entscheidungen treffen, denn alle brauchen Mitgefühl und ich hoffe mit jeder Träne auf eine Änderung im Verhalten der Entscheidungsträger und- trägerinnen. Ich bleibe ich eine Optimistin. Ich wüsste nicht, wie ich sonst leben sollte. Ich vertraue darauf, dass das Gute in uns Menschen stärker sein wird als alles böse und ungesunde Tun und dass unsere positiven Gedanken und ebensolches Handeln die Welt und das Miteinander in Bahnen lenken werden, die uns allen ein Weiterkommen in gegenseitigem Repekt ermöglichen. Andersartigkeit ist nicht schlecht. Sie ist eben anders und damit in besonderer Weise wertvoll. In Diskussionen um das Thema Abschiebung im näheren Bekanntenkreis höre ich immer wieder das Argument: „Wir müssen unsere Identität schützen.“ – Womit dann eine Zustimmung zur Abschiebungen, zumindest von Straftätern gerechtfertigt werden soll. Als Erzieherin habe ich gelernt, dass niemand, auch wenn er oder sie es schwer hat, die Gruppenregeln zu befolgen und sich daneben benimmt, aus einer Kindergartengruppe ausgeschlossen wird. Die Zeiten, in denen Kinder in Schulen „vor die Tür gestellt“ wurden sind ebenfalls offiziell vorbei. Und dennoch erlebe ich diese Methoden als Erziehungsmittel in diversen Bereichen des alltäglichen Lebens. Sicher können sie eines der letzten anwendbaren Mittel sein in den Situationen, die entstehen, wenn ich sagen kann,: „Wir haben wirklich alles probiert!“. In manchen Fällen scheint mir jedoch genau dieses Mittel zu schnell angewendet zu werden und es offenbart sich mir immer als ein Zeichen der Ideenlosigkeit und der Hilflosigkeit derer, die doch Kraft ihres Amtes helfend wirksam sein sollten.

Die Sache mit der Identität

Wie kann ich denn meine Identität schützen? Muss ich sie überhaupt schützen? Eine Identität habe ich. Sie ist sowieso zu mir gehörend. Ich bin wie ich bin und ich bin wer ich bin. Das ist etwas, was ganz unabhängig von anderen, ganz alleine Meines ist. Wenn ich jemand wäre, der oder die ihre eigene Identität anhängig machen würde von der Anwesenheit eines anderen Menschen im direkten oder ferneren Umfeld, dann würde ich ehrlicher Weise von mir behaupten müssen, dass ich keine wirkliche Identität besitze, ich also nicht weiß wer ich bin, was ich bin, was ich tun soll, warum ich etwas tun soll und mit welchem Ziel ich in meinem Leben unterwegs bin. Ich könnte mich nur über andere identifizieren. Ich würde mich größer machen, dadurch, dass ich andere kleinrede. Ich würde mich schlauer machen, indem ich behaupte die andere sei dumm. Ich kann sofort der bessere Mensch sein, indem ich die Fehler der anderen aufzähle, selbstverständlich ohne meine eigenen zu erwähnen. Mein Wohlbefinden wäre gänzlich abhängig von anderen Menschen. Wenn es denen nun aber auch so erginge, wie mir? Wenn die anderen auch keine eigene Identität haben und nur über Herabsetzung anderer einen eigenen höheren Wert erfahren und sich selbst gut fühlen können. Wenn auch alle anderen nur dann eine Identität spüren, indem sie ihr Wohlbefinden von der Anwesenheit oder Abwesenheit anderer Menschen abhängig machen würden, wie würde dann unsere Welt aussehen? Nun, diese Antwort ist leicht zu finden, denn wir haben ja täglich tiefe Einblicke in ein Weltgeschehen, das genau von dieser Verhaltensweise, nämlich die Herabwürdigung all dessen, was anders ist, geprägt wird.

Was meine ich mit „anders“?

Mit anderen Menschen meine ich Menschen, die anders sind als ich selbst. Im Grunde meine ich damit jeden Menschen, denn es gibt überhaupt niemanden auf dieser Welt, der so ist wie ich bin. In manchen Kulturbereichen sind die Wertevorstellungen einander ähnlicher. Jedoch schon von Familiensystem zu Familiensystem können im gleichen Kuklturkreis sehr unterschiedliche Werte vorherrschen, die spätestens dann erstmalig konfliktreich ausgelebt werden müssen, wenn die pupertierenden Kinder sich in ihren jeweiligen Peergroups miteinander messen werden. Meistens treten die Unterschiedlichkeiten jedoch schon viel früher in Kindergarten und Schule auf. Dort finden sich dann die Eltern der, von den Unterschiedlichkeiten im anerzogenen Wertesystem betroffenen Kinder, gegenseitig entweder „echt sympathisch“ oder „total bescheuert“.

Diese Problematik, mit der wir alle tagtäglich umgehen müssen, ist noch nicht nachhaltig gelöst, wie auch diverse Ehescheidungen und Trennungen im allgemeinen zeigen. Denn auch hier treffen zwei Wertesysteme, also zwei sehr unterschiedliche Identitäten aufeinander. Wie abhängig mache ich mich hier im Bezug auf meine eigene Identitätsentwicklung von meinem Partner oder meiner Partnerin? Kann ich seine oder ihre Andersartigkeit, die individuelle Besonderheit zulassen oder muss ich versuchen, ihn oder sie zu verändern, um meine Identität nicht zu verlieren? Wenn eine Partnerschaft bereits dazu führen kann, dass ich das, was ich für Identität halte, verliere, dann ist es mit meiner Identität nicht weit her. Kurz, ich verfüge über keine tragende Identität, weil ich unsicher bin und Angst habe vor dem Fremden, dem Andersartigen.

Menschen aus anderen Ländern

Wir haben die Problematik noch nicht einmal für uns selbst in unseren Familiensystemen gelöst, da zanken wir auch schon mit den Nachbarn am Gartenzaun, weil die Hecke zu hoch oder zu niedrig ist, weil die Katzen die Grundstückgrenzen nicht akzeptieren, weil die Kinder sich zu laut freuen oder weil der Grill falsch aufgestellt wurde. Manches von alledem ist dem Nachbarn anerzogen. Er findet gut und richtig was er tut und er weiß, dass seine Katzen nicht lesen können und dass Zäune sie nicht interessieren. Soll er deshalb wegziehen? Ziehe ich deshalb weg? Ist es nicht viel sinnvoller, sich gegenseitig einzuladen, sich gegenseitig und damit die individuellen Sichtweisen kennenzulernen und sich dann die Frage zu stellen: „Kann ich damit leben?“ Wenn ich diese Frage in meinem Herzen bewege, bekomme ich dort auch Antworten. Manches relativiert sich bei näherer Betrachtung und manches erkenne ich als Störfaktor, den ich verändern möchte. Die Betonung liegt hier auf dem Wort „ICH“. Ich möchte etwas für mich verändern. Es kann eine Lösung sein, den Nachbarn darauf aufmerksam zu machen, dass mich etwas stört und ihm meine Befindlichkeit zu erklären. Für ihn ist es so klar, dass sein Verhalten in Ordnung ist, dass er sich möglicherweise gar keine Gedanken darüber macht, dass irgendjemand sich dadurch gestört fühlen könnte.

Wie nun kann ich dieses Tun auf den Umgang mit den Menschen übertragen, die aus fremden Ländern zu uns kommen? Die anders aussehen, die anders sprechen, die sich anders kleiden, die anders essen, die anders beten usw. …

Die Entfernung und der scheinbare Unterschied

Wenn Menschen aus anderen Ländern zu uns kommen, dann spielt es, um das Maß der Akzeptanz festzulegen, eine Rolle, wie weit ihr Heimatland von unserem entfernt ist. Dänemark genießt zweifelsfrei eine höhere Akzeptanz als Afghanistan. Warum eigentlich? Ich habe von höflichen Dänen und unhöflichen Dänen gehört. Der Maßstab meiner Beurteilung war mein Wertesystem. Ich habe von höflichen und unhöflichen Afghanen gehört, ebenso Russen, Kamerunern, Pfälzern, Saarländern, Schleswig Holsteinern und natürlich auch immer die „innen“ dazu. Immer war mein eigenes Wertesystem der Maßstab für meine eigene Bewertung.

Es gibt freundliche und unfreundliche, gute und böse Menschen überall auf der Welt. Und Jeder und Jede hat ein Recht darauf, genauso sicher, so frei und so auskömmlich versorgt zu leben wie ich es für mich selbst kann und selbstverständlich auch in Anspruch nehme.

Und noch ein Recht, dass ich und alle Menschen, die ich in meinem Umfeld kenne, selbstverständlich für sich beanspruchen ist es, jederzeit überall hinreisen zu können und sich auch überall niederlassen zu können. Ob wir es jeweils tun, ist eine andere Sache, aber wir gehen davon aus, dass diese Möglichkeit für uns alle immer besteht. Es gibt nicht wenige Menschen in unserem Land, die sich entscheiden, aus wirtschaftlichen Gründen Deutschland zu verlassen, um sich an anderen Orten in anderen Ländern niederzulassen. Das akzeptieren wir alle ohne Groll und Änderungswunsch. Nur dann, wenn andere Menschen zu uns kommen, ist genau das, was hier so selbstverständlich toleriert wird und was wir für einen legitimen Anspruch halten, falsch. Wenn der andere es tut, machen ganz schnell Wortneuschöpfungen wie „Wirtschaftsflüchtlinge“ die Runde. Flüchtlinge als solche sind ja schon, völlig ungerechtfertigt aus meiner persönlichen Sicht, sozial geächtet. Wirtschaftsflüchtling zu sein, beschreibt noch einmal eine weitaus verwerflichere Qualität in der gutbürgerlich deutschen Bewertungsskala. Wir sollten uns alle regelmäßig hinterfragen, woher unsere Ablehnung kommt und wie wir alle zusammen friedlich auf diesem Planeten miteinander leben können. Es soll uns allen gut gehen.

Der kategorische Imperativ und das „C“

Künstler und Künstlerinnen, die international tätig sind und die, welche sich, wo auch immer sie arbeiten, ein offenes Herz bewahrt haben, wissen das und wir Musen achten darauf, dass die oder der Andere mit gleichen Rechten und nach gleichen Maßstäben behandelt wird, wie wir selbst uns das für uns auch wünschen. Wir alle kennen ihn, den kategorischen Imperativ nach Kant:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. …“ (Und ein solches Gesetz könnte ja auch auf mich selbst Anwendung finden…)

Wer sich lieber mit der „C“ – Variante auseinandersetzen möchte, dem sei der ewig gültige Lehrsatz an die Hand gegeben, der da lautet:

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Markus 12, 29-31 (Das Doppelgebot der Liebe)

Beide Formulierungen sind sehr gute Richtungsweiser für unser Leben in einer, durch gegenseitige Wertschätzung getragenen Gemeinschaft. Was mich selbst schmerzt, wird vermutlich auch einem anderen weh tun. Das kann nicht das Ziel menschlichen Miteinanders sein!

Also lassen Sie uns respektvoll füreinander sorgen und uns gegenseitig Gutes tun.

Abendempfindung
Abendempfindung von W.A. Mozart, gesungen von Susanne Dieudonné.
An der Orgel der St. Petri Kirche zu Ratzeburg spielt Sergej Tcherepanov
„Weih mir eine Träne…“

Wenn Sie etwas bewegt, so ganz tief in Ihrem Innern, dann ist es gut, darüber zu reden oder zu schreiben. Und manchmal ist es auch gut, davon zu singen oder aber jemandem eine Träne zu weihen.

Mich bewegen viele Dinge, ebenso meine Schwestern. Wir haben aufgehört, darauf zu warten, bis jemand anderes über das redet, schreibt oder singt, was uns bewegt. Wir tun es selbst zu der Zeit, die wir für richtig halten. Wir tun das für uns und wir tun das mit Ihnen und für Sie. Wenn Sie einmal dabei sein wollen, wenn eine von uns vieren einen Auftritt hat, dann sind Sie uns herzlich willkommen. Die aktuellen Termine finden Sie HIER. Das im ersten Absatz oben beschriebene Konzert wird es gleich zweimal geben:

Am 6. August um 19.15 Uhr in Seedorf am Schaalsee, anlässlich der 7. Seedorfer Se(e)renade (Das ist das kleinste Festival der Welt, denn es gibt nur 1 Konzert im Jahr…) und am

28. August um 17.00 Uhr in der ev. Kirchengemeinde Spornitz bei Parchim im dortigen Pfarrgarten.

Fritz Abs und Susanne Dieudonné, die fröhliche Sängerin, musizieren zusammen Lieder von Clara Schumann und Fanny Hensel.

Seien Sie uns herzlich willkommen.

Ihre Susanne Dieudonné

Die fröhliche Sängerin lächelt strahlend Portrait
Die fröhliche Sängerin

1 Kommentar zu „„Weih mir eine Träne…““

  1. Ich bin nicht mit allen Aspekten des Posts einverstanden, aber das Resümee in den letzten beiden Absätzen gefällt mir gut. Ich möchte nur zwei Dinge zu bedenken geben:

    1. „Lass uns gegenseitig Gutes tun“ hört sich leichter an als es ist. Zum einen fällt es schwer, „Gutes“ zu tun, wenn es den eigenen Interessen, Stimmungen, Zielen etc. entgegenläuft. Zum anderen kann ich ganz übel danebenliegen, was ich als „gut“ für einen anderen Menschen empfinde. Ich fürchte, hier wurde schon so mancher Bärendienst erwiesen …

    2. Den eigenen „Schmerz“ als Massstab dafür anzulegen, was vermutlich auch einem Anderen weh tut, ist meiner Meinung nach gefährlich. Auch hier können wir schnell „danebenliegen“. Ausserdem ist das eine eher „passive“ Haltung (ich vermeide, was Schmerzen verursacht), während der Jesus (der Ursprung des Cs) sehr aktives Handeln fordert: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst …“

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