Langeweile – weile lange – -lange Weile
Was für Wortspiele!
Wir vier Schwestern haben uns lange verweilt, dann das lange Weilen genossen und uns schließlich in Langeweile gesonnt.
Das Wort „Langeweile“ klingt in den Ohren der meisten Menschen wie etwas, was nicht sein darf.
Langeweile ist etwas, was nicht in eine Leistungsgesellschaft passt.
Langeweile muss vertrieben werden.
Langeweile ist verpönt, weil sie das assoziiert, was wir heute alle mit „Nicht produktiv sein“ beschreiben.
Langeweile ist öde, Langeweile heißt inzwischen so viel wie „Faulheit“ und faul sein darf in unseren kapitalistischen leistungsorientierten Systemen Niemand
Eigentlich und Uneigentlich
Mit all diesen Schubladen, in die wir Menschen geneigt sind, die Langeweile zu stecken, hatten auch wir Schwestern zu kämpfen. „Eigentlich“ wissen wir ja, dass Langeweile das Beste ist, was einem Künstler passieren kann. „Un“- eigentlich leben wir aber auch in unserer, von Urteilen und Vorurteilen geprägten Welt und unsere Sozialisation können auch wir nicht leugnen.
In der Langeweile keimt die Kreativität
Wenn ein Künstler sein ganz normales Künstlerleben leben darf, dieses Leben zwischen dem Erschaffen der Kunst bis hin zum Anbieten des fertigen Kunstwerkes an die Kunstliebhaber, wünscht er sich manchmal, diesen scheinbar ereignislosen Zustand der Langeweile erleben zu dürfen. Der schwebende Zustand des Malens, der konzentrierte des Übens oder der kraftvolle des Bildhauerns kreuzen täglich den aufreibenden Zustand der Akquise und den unglaublich Adrenalin spendenden Applaus eines Auftrittes, einer Vernissage oder einer Lesung.
Dazwischen liegen tausend Tode und ebenso viele Auferstehungsriten. Das Künstlerleben ist ein spannendes Leben, ein stetes Auf und Ab zwischen den Polen der Ungewissheit.
Wer so lebt, wünscht sich Pausen. Und damit meine ich nicht die Tasse Kaffee zwischendurch, sondern die große Pause, die uns erneut in die Lage versetzt, unsere Kreativität keimen zu lassen.
- Nur in einem solchen Zustand der Entspannung können neue Ideen entstehen.
- Nur an diesem tiefsten Punkt der Leistungskurve hat Kreativität eine Chance zu erwachen und sich schließlich zu entfalten.
- Nur eine gesunde und gewollte Langeweile kann diese Kräfte freisetzen.
Zum Nichtstun gezwungen
Wir vier Schwestern waren, wie alle Künstler zum Nichtstun gezwungen. Wir durften mit unserer Kunst nicht zu unserem Publikum und unser Publikum durfte nicht zu unserer Kunst.
Eigentlich hätten wir jetzt ja alle Zeit der Welt gehabt, den zündenden Funken der Langeweile in uns zu finden?
Doch dort wo die Arbeit wegfällt, bleiben auch die Einnahmen aus und statt der Freude über die geschenkte Zeit, stellte sich die Sorge um die Finanzierung des Lebensunterhaltes ein.
Nichts ging mehr
Am Anfang waren wir noch freudig über das Geschenk der Zeit. Dann aber begann eine Phase der Ideenlosigkeit. Wir hatten ein BournOut, alle vier zur gleichen Zeit. Die Sprache und die Musik in unserer Bloghaus WG waren über Wochen und Monate verstummt.
„Rien ne va plus!“
Übersetzung: Nichts geht mehr! – Ein Begriff aus dem Roulette. Einsätze sind am Spieltisch nun nicht mehr möglich.
Wir hatten keine Ideen mehr, wir hatten keine Themen mehr, über die wir uns hätten unterhalten können. Kein Lied wollte uns einfallen, kein Reim kam über unsere Lippen und unsere Fähigkeit zur Wut über alles, was uns früher in innigste Widerspruchslaune versetzt und aufgewühlt hätte, schien gestorben zu sein.
Ja, tatsächlich: alle Anzeichen sprachen dafür! Wir hatten ein BournOut, alle vier zur gleichen Zeit. Die Sprache und die Musik in unserer Bloghaus WG waren über Wochen und Monate verstummt.
Wir sind nicht die Einzigen
Wir sind heute überzeugt davon, dass wir nicht die einzigen Künstler sind, denen es so dermaßen die Sprache und damit den intuitiven Zugang zu unserem künstlerischen Tun, verschlagen hat. Ganz sicher sind viele unserer Kollegen und Kolleginnen betroffen. Viele sind verstummt, die Blicke sind getrübt, der Geist versagt uns die Kommunikation mit Auge, Ohr, Herz, Mund und Hand. Viele aus unserem Berufszweig, der ja so gar nicht „systemrelevant“ war, in dieser Coronazeit, haben aus der Not heraus andere Beschäftigungen annehmen müssen, um zu überleben. Mit der Aufnahme einer anderen als der eigentlichen künstlerischen Tätigkeit, wird die künstlerische Sprachlosigkeit jedoch noch größer.
Wenn ich mein Geld mit einem anderen Beruf als dem meinen, meinem Künstlerberuf, verdienen muss, habe ich wenigstens acht Stunden am Tag keine Zeit, mich meinen künstlerischen Themen zu widmen. Die Fahrtzeiten zu diesem, für mich außergewöhnlichen Arbeitsfeld, sind hier noch nicht mitgerechnet.
Ohne Freude ist Langeweile destruktiv
Ich habe dann zwar Geld, um meine Wohnung, mein Essen, eben meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich habe aber keine Möglichkeit mehr, meiner eigentlichen Berufung mit der Zielstrebigkeit zu folgen, die angemessen wäre, nämlich ganz und gar, mit Leib und Seele und ohne Existenzangst.
Ich tue etwas, was mir die Freude raubt, weil mich der Verstand zu diesem Tun treibt, das Herz aber kann keine Wonne finden. Die Wahrscheinlichkeit, gesundheitliche Einbußen zu erleiden ist mit Hilfe einer solchen Ersatzarbeit ungleich größer, weil ich diese Arbeit nicht wirklich aus Herzenswärme und aus künstlerischer Überzeugung tue. Ich folge in meinem Tun einer Notwendigkeit und erlebe Langeweile auf eine nicht konstruktive Weise.
Kunstge(d-sch) ichte ein Gedicht von Doró Théà
Was so zur Zeit geschieht führt zu Gedankenspiel im Überfluss.
Was immer ich auch denke, es führt zum Verdruss.
Die Dinge wickeln sich verworren durch den Kopf.
Als Künstler heut ist man ein armer Tropf.
Die Kunst für sich zu allen Zeiten hat ja etwas Gutes
und Künstler sind an sich stets guten Mutes.
Doch hin und wieder gibt es Übelkeiten,
wie jetzt und augenblicklich zu Coronas Zeiten.
Im Grunde ist ein Schaffender der Kunst im Spiel der Launen
durch seine Arbeit angeregt zum steten Staunen.
Das ist auch jetzt der Fall, doch das Ergebnis
der kühnen Kräfte wird nicht zum Erlebnis.
Der Künstler braucht, um in der Kunst zu überleben
ein Publikum. Dem will er alles geben.
Das Publikum ist aber grad nicht da.
Das macht das Künstlerleben etwas sonderbar.
Ganz gleich ob Maler, Sänger, Trommler oder Gitarrist,
ob es ein guter oder schlechter Künstler ist,
er braucht die Augen und die Ohren andrer Leute.
Das war so gestern und so ist es heute.
Dem Publikum wird es ganz sicher auch nicht anders gehen.
Es hat schon lange kein Konzert mehr live gesehen.
Und Bilder in den Galerien anzuschauen,
kann sich ein Kunstliebhaber gerade auch nicht trauen.
Die immerwährende und tragende Symbiose
von Kunstliebhabern und von Kunstmimosen,
sie hat gerade nicht das richt´ge Gleichgewicht,
was manchem Künstler, leicht und schwer, das Herze bricht.
Wenn eine solche Form der negativen Langeweile lange weilt, wird, wer die Situation aushalten muss, krank.
Langeweile lohnt sich trotzdem
Viele von uns Künstlern sind krank geworden. Viele haben ein BournOut erlebt und viele knabbern immer noch an den Folgen dessen, was unsere Besucherin Corona uns allen auferlegte. Sie hat den Grundstein für das ungewollte und lange Weilen gelegt, welches uns Künstler und natürlich auch alle andere Menschen so unvermutet überfallen hat.
Dennoch, so behaupte ich, lohnt es sich, die Langeweile schätzen zu lernen. Ich halte sie nach wie vor für die beste Form der Kreativitätsfindung. Wer auf einem Gipfel gelandet ist, wird dort nicht bleiben wollen. Er wendet sich und kehrt zurück ins Tal, um irgendwann einen neuen Aufstieg wagen zu können, denn diese Freude wäre dem versagt, der oben bliebe.
Im Tal zu wandern, ein Thema, einen Projektgedanken, ein neues Werk, eine Idee zu ergründen, das bedeutet, erneut festen Grund zu erfahren und sich stabilisieren zu können. Wenn ein Wasservogel „gründelt“, ist er auf der Suche nach lebenswichtiger Nahrung. Wenn wir Künstler in Langeweile versinken, ist das für uns das Gleiche, wie das „Gründeln“ für einen Wasservogel. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes „grundlegend“ und damit lebenswichtig.
Matthias Drobinski beschreibt den Zustand, der auf dem tiefsten Grund der Langeweile gefunden werden kann,so:
„Wer sich ins Leere wagt, findet die Fülle…“ (NDR Kultur/ Glaubenssachen vom 7.8.2022)
Die geschenkte Zeit nutzen
Als wir vier Schwestern das erkannt hatten, haben wir uns wieder aufgemacht ins Leben. Wir begannen die geschenkte Zeit zu nutzen und uns in der Langeweile mit Langmut einzurichten. Lange weilten wir in unseren sehr unterschiedlichen Gründeleien, keine trieb die andere, jede nahm jede in allem an, so wie sie gerade war.
Und dann kam der Abend, an dem wir plötzlich wieder alle gemeinsam am Tisch unseres Bloghauses saßen.
„Wir müssen raus!“, sagte Sanni, die von uns allen schon immer die Unternehmungslustigste war.
„Lasst uns den Leuten sagen, was wir erfahren haben. Vielleicht finden wir Gleichgesinnte, vielleicht hilft unser Erleben einem anderen Menschen zu ein wenig mehr Mut? Ist das nicht unsere Berufung? Sind wir nicht in diesem Geist angetreten? Wollten wir nicht die Wahrheit der Kunst behüten?“
Doró Théà sagte, dass sie unbedingt ihre Gedichte, die sie während ihrer Langeweilezeit geschrieben hatte, vorlesen möchte.
Auch in mir regte sich so ein vages Gefühl von Vorfreude, als ich daran dachte, mal wieder etwas für andere Menschen zu singen.
Als wir schon alle wieder in unser Inneres gekrochen waren, um uns dort mit unseren eigenen Phantasien zu beschäftigen, sagte Divadonna plötzlich: „Ich wäre dabei. Ich hätte große Lust, mit euch dreien zusammen ein Bühnenprogramm zu entwickeln.“
„Stellt euch das mal vor: Wir, die Musen, die Hüterinnen der Kunst stehen zusammen auf der Bühne. So was gab´s noch nie! Und das eine sage ich euch: Mein Kostüm wird das genialste, was ihr drei je gesehen habt. Ich habe nämlich die Nase gestrichen voll von der Seichtheit, die sich in die Kunst eingeschlichen hat. Ich werde die Peitsche schwingen wie ein goldenes Schwert. Seid ihr dabei?“
Neues wagen
Wir erhoben unsere Gläser und prosteten uns zu. Die Zeit der Langeweile war vorbei. Die Nachwirkungen unserers WG BournOuts werden noch eine Weile um uns schweben, aber der Grund für einen neuen Aufstieg haben wir gefunden. Gott sei Dank!
Wenn unser Programm steht und wenn es die Bühnenreife erreicht hat, werden wir alle unsere Freunde und Freundinnen und alle Besucherinnen unseres Bloghauses der Musen darüber informieren.
Bleiben Sie uns treu und bleiben Sie weiterhin gesund.
Gönnen Sie sich das lange Weilen in der Langeweile und weilen Sie lange dort, wo Sie sich wohlfühlen. Es ist „Einfach Göttlich!“
Herzliche Grüße von
Divadonna und ihren Schwestern
Bitte seien Sie so freundlich und bedenken Sie, dass unsere Kunst unser geistiges Eigentum ist. Wenn Sie unsere Gedichte, unsere Musik, Vorträge und Geschichten interessieren, dann rufen Sie uns an. Wir finden einen Weg, Ihnen alles zugänglich zu machen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.